Wie das aufgeklärte Europa den sanften Drogen verfiel

Im Zeitalter der Aufklärung fand Europa zu einem Lebensstil der die neuen Drogen Tabak, Kaffee, Kakao und Tee in den Mittelpunkt stellte. Die Europäisierung dieser Produkte inkludierte den Konsum, die Produktion, die Verteilung sowie die Konstruktion anerkannter medizinischer und ideologischer Meistererzählungen über deren Verwendung. Die neuen Waren ersetzten nicht nur lokale Produkte, sondern förderten eine Transformation der Beziehung von Europäern zur pflanzlichen Welt.
Seriosität und Nüchternheit als wirkmächtige gesellschaftliche Ideologien beförderten die Verbreitung der neuen Produkte in Europa.
Obwohl die neuen Drogen um die Wende zum 17. Jh. in Europa bekannt waren, setzten sie sich erst ab der zweiten Jahrhunderthälfte durch. Das Wichtigste war in dieser Zeit für die Europäer die Kontrolle über den Anbau und Handel zu erlangen. Während man bei Kakao und Tabak schnell diese Ziele erreichte, war man bei Kaffee und bei Tee noch länger auf die nicht-europäischen Produzenten angewiesen. Erst 1658 konnte Kaffee von den Niederländern auf Ceylon angebaut werden und wurde erstmals 1712 in Europa verkauft. Danach gelang die Etablierung auf Surinam und Java recht schnell. Frankreich gelangte schließlich über die Niederlande in Besitz der Kaffeepflanze und baute diesen auf seinen Kolonien Martinique, Cayenne und Réunion an. England baute es erst ab den 1770er Jahren auf Jamaika an. Auf europäischen Tee musste man noch 100 Jahre länger warten. Durch die europäische Kontrolle von Anbau und Handel der neuen Drogen und dem massiven Einsatz von Sklavenarbeit gelang es diese exotischen Luxusgüter und Genussmittel immer günstiger anzubieten und damit den Konsumentenkreis stetig zu erhöhen.
Man übernahm zuerst die Trinkgewohnheiten der Ursprungsländer bis man sie seinen lokalen Vorlieben anpasste. Besonders das Süßen mit Zucker spielte, seitdem dieser auf karibischen Sklavenplantage angebaut wurde, eine wichtige Rolle bei der Europäisierung des Konsums. Ferner gab es eine jahrhundertelange Debatte über die medizinische und gesellschaftliche Rolle und Wirkung der neuen Drogen. Ähnlich wie die Getränke an sich imitierte man auch das soziale Gefüge was in den Ursprungsländern um die Getränke herum aufgebaut worden war. Ein zentraler Ort war das Kaffeehaus in dem alle drei Getränke konsumiert worden. Eine bürgerliche Männlichkeit die Seriosität, Respekt und Zielrichtigkeit ausstrahlte wurde übernommen.
Das Aufkommen dieser neuen kulturellen Trinkgewohnheiten sollte freilich die Frage aufwerfen, was sie eigentlich ersetzten. Heiße Getränke kannte man nur als Kräuteraufgüsse. Diese waren reine Medizin und kein Genussmittel. Aus dieser Denktradition wurden auch die neuen Heißgetränke erstmal unter medizinischen Aspekten diskutiert. Neben der Heilwirkung ging es auch darum die betäubende Wirkung von Opium oder Cannabis zu kontern. Der Humorallehre folgend beachtete man lange Zeit die Wirkungen der neuen Heißgetränke auf die Körpersäfte, Durst und Hunger der Konsumenten.
Mit der Entdeckung exotischer Pflanzen verlor die volkskundliche Medizin an Bedeutung. Es war nun moderner exotische Pflanzen zu konsumieren als lokale Alternativen. Freilich sorgten Urbanisierung und das Entstehen von Ziergärten anstelle des funktionalem Anbaus für eine weitere Entfremdung der lokalen Kräuterkunde. Es wurden aber nicht nur Kräuter verdrängt – auch Alkohol geriet unter Druck. Während man jahrhundertelang mit Bier getränkten Getreidebrei frühstückte konsumierte man seit der Mitte des 18. Jh. eher festes Brot zum Tee, Kaffee oder Kakao.

Mehr: Excitantia: or, how enlightenment Europe took to soft drugs; Jordan Goodman; 2007; Routledge

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner