Tee-Plantagen und medizinische Versorgung. Die ersten Jahre in Indien

Seit Mitte des 19. Jhs. vergab die englische Verwaltung sogenanntes „Wasteland/Brachland“ für private agrarische Unternehmungen. Angebaut wurden Cash Crops wie Tee, Kaffee, Chinarinde, Apfel und Erdbeeren. Die Plantagen waren an der Peripherie des kolonialen Staates und galten als Enklaven kolonialistischer Traditionen.
In Sibsagar/Assam wurde der erste britische Teegarten aufgebaut. 1840 wurde der Versuchsgarten an die Aktiengesellschaft Assam Tea Company verkauft. Das Wort Teegarten steht hier für eine bewusste Romantisierung des angeblichen Kampfes der zivilisierten Teekultur gegen die wilde Natur. Neben originären Unternehmern waren viele aus dem kolonialen Dienst pensionierte Männer Leiter von Teeplantagen. Sie hatten einen medizinischen, militärischen oder Verwaltungshintergrund. Obwohl 1858 das Auktionieren des Lands von Darjeeling an Agrarunternehmungen begann, musste erst 1898 der Pächter nachweisen, dass er das „Brachland“ auch entwickeln konnte. Oft wurde somit einfach Land vom Staat gekauft, nur um es wenige Jahre später wieder teurer weiterzuverkaufen. Die vom Staat intendierte agrarische Kultivierung des Landes fand oft nicht statt. Bis in die Anfänge des 20. Jh. musste man 15 Prozent des Landes mit Tee bepflanzen und nur hierfür zahlte man Pacht. Für 100 ha Land mussten somit nur 15 ha bezahlt werden. Die umliegenden Wälder wurden in Teekisten und Feuerholz verwandelt. Neben Tee wurden in Doars besonders Senf, Reis, Jute und Tabak angebaut. Die Organisation der Arbeit hier war eher kleinbäuerlich als mit großen Plantagen. Arbeiter der Darjeeling-Plantagen waren meist Wanderarbeiter aus Nepal, die die Plantagen außerhalb der Saison nicht bewohnten. Dies war für die Besitzer günstiger als aus Süd-Indien Zwangsarbeiter ranzuschaffen. Dass viele Arbeiter nur zeitweise auf der Plantage arbeiteten und die restliche Zeit in Subsistenzwirtschaft in der Nähe lebten, war für die Doars Pflanzer ein moralischer Vorteil, da sie ja nicht auf Zwangsarbeit wie in Assam setzten. Aufgrund dieser offiziellen freien Arbeit war es in Darjeeling, Doars und Terai auf Seiten der Regierung nicht nötig im 20. Jh. gegen Zwangsarbeit vorzugehen. Ebenso gab es kaum Informationen oder Statistiken über diese Arbeiterschaft. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jh.s, indem viele Teeplantagen etabliert wurden, verdoppelte sich die Bevölkerung in diesen drei Regionen. Arbeiter wurde auch in verschiedenen Siedlungen untergebracht damit sich Krankheiten nicht so ausbreiten konnten und es keine Absprachen für mögliche Arbeitswiderstände gab.
Während es für die Europäer vor Ort bald Krankenhäuser geben sollte, war für die Einheimischen nur eine simple Notversorgung vorgesehen. Aber selbst Europäer hatten bis in die 1930er Schwierigkeiten eine adäquate Versorgung zu erhalten. Einige europäische Ärzte gehörten auch zur Kategorie „young fellows who could not get into the right thing at home“ und damit gab es hohe Bedenken hinsichtlich ihrer Qualifikation. Weiße Ärzte wurden nur aktiv wenn Epidemien und damit erhebliche Gewinneinbußen drohten.  Während in Darjeeling das Klima eher gesünder war, erlitten die europäisch gekleideten Engländer in Doars und Terai viele Tropenkrankheiten. Dies war aber ein wichtiger Teil ihrer Erzählung vom harten Pionier in der indischen Wildnis. Die Sterblichkeit war ihrem Heroismus immanent.
1881 erhielt mit der Jalpaiguri Tea Company die erste indische Firma einen Teegarten Namens Mogalkata Tea Estate mit einer Größe von 300 ha. Bis zur Unabhängigkeit gelang es indischen Unternehmen einen Anteil von knapp 20 Prozent in der Teeindustrie zu erreichen. Die indischen Pflanzer wurden nicht in die weißen Interessensvertretungen aufgenommen, kooperierten wenn nötig aber mit ihnen. Das Plantagenwesen veränderte aufgrund des Imports von Arbeitern nachhaltig die Demografie der nördlichen Regionen.

Mehr:
Nandini Bhattacharya: Contagion and Enclaves. Tropical Medicine in Colonial India. 2021, Liverpool University Press.

Indien: Englands Teegarten

Indien ist heute hinter China der zweitgrößte Teeproduzent. Rund 80 Prozent der jährlichen Produktion wird vor Ort konsumiert. Die Anfänge der indischen Teeindustrie liegen aber in der britischen Kolonialzeit. Nachdem die East India Company 1833 ihr Handelsmonopol mit China verloren hatte, begann sie Tee in Indien anzubauen. Entdeckt wurden Teepflanzen in Nordindien bereits zehn Jahre zuvor, aber da man den China-Handel noch kontrollierte, war eine eigene Produktion weder erwünscht noch nötig. In England ermöglichte die Teesteuer große Ausgaben des Kolonialstaates. Würde China keinen Tee mehr liefern, wären die Finanzen in Gefahr gewesen. Besonders die Entwicklung in Assam, von der ersten Entdeckung der Teepflanze über die Hindernisse auf dem Weg zu einer Teeindustrie, wurde tagesaktuell verfolgt. Bereits 1839 orakelten einige Zeitungen, dass Assam-Tee das gesamte britische Empire verändern wird. Der Traum, Assam in einen großen Teegarten zu verwandeln, sollte Wirklichkeit werden. Für Indien war es ein Albtraum.
Die Singpho, die dominierende Ethnie in Assam, wehrte sich vergeblich gegen die englische Okkupation. Ihnen wurde der Lebensraum geraubt, vermessen und einheitlich in Plantagenland aufgeteilt. Auch das benachbarte Burma (heute: Myanmar) wurde in drei Kriegen von Engländern unterworfen. Um die Teegärten anzulegen wurden aus anderen Regionen der Kolonie bis 1949 knapp drei Millionen Menschen nach Assam verfrachtet. Unzählige Zwangsarbeiter starben an den grausamen Bedingungen vor Ort. Da sie sich in Herkunft, Ethnie und Religion von den Singpho unterschieden gab und gibt es bis heute Konflikte in Assam. In den ersten Jahren wurde ihre Arbeit von entführten chinesischen Teebauern angeleitet, da in Britisch-Indien das Wissen über Teeanbau nicht existierte.
Zur Kontrolle der Arbeiterschaft setzte sich die gleiche Organisation wie bei den karibischen Sklavenplantagen durch. Überdies wurden kooperierenden Ethnien Vorteile versprochen, diese aber nie eingelöst. Der anfangs existierende eigene landwirtschaftliche Anbau der Arbeiterschaft zur Selbstversorgung wurde eingeschränkt, um mehr Land unter Tee zu stellen – Hungersnöte waren die Folge. Streiks für bessere Versorgung, Löhne oder gar Infrastruktur wurden regelmäßig blutig niedergeschlagen.
Erst nach der Unabhängigkeit 1949 konnte Indien selbst seine Teeindustrie aktiver gestalten und tat dies mal in Kooperation, mal in Konkurrenz mit anderen ehemaligen britischen Anbaugebieten wie Sri Lanka. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden durch moderne Dünger und Pflanzenschutzmittel die Erträge der Teegarten vervierfacht.

Indien: Die junge Geschichte des Nationalgetränks Chai

Obwohl Chai heute in all seinen Formen das beliebteste indische Nationalgetränk ist, hat es seine Wurzeln in der fremdbestimmten Ära des Kolonialregimes. Während der brutalen Etablierung der indischen Teeindustrie durch England war es nicht vorgesehen, dass dieses Luxusgetränk von Indern selbst getrunken wurde. Auch gab es vor der englischen Okkupation außerhalb der Adelsklasse keine Gewohnheit Tee zu trinken. Erst in den Jahren der Weltwirtschaftskrise um 1930 versuchte England seiner Kolonie das Teetrinken beizubringen. Die produzierten Teemassen, die in westlichen Ländern keine Käufer mehr fanden, sollten jetzt in Indien abgesetzt werden. Hierbei orientierte man sich an Methoden der christlichen Missionare. Tee galt als Zivilisationsgetränk das den angeblich faulen und dreckigen Indern Reinheit und Fleiß offenbaren sollte. An jeder Straßenecke und den Bahnhöfen gab es Teestände für „richtigen britischen Tee“. Diese Versuche misslangen weil Ghandi und andere Freiheitskämpfer gegen Tee agitierten. Unzählige Inder starben für die Profite der englischen Teeindustrie und Tee galt als ausländische Droge. Ferner wurden viele Krankheiten propagandistisch auf Teekonsum gemünzt.
Nach der Unabhängigkeit 1949 versuchte die nationalisierte Teeindustrie, die ein wichtiger Devisenaggregator des Landes war, ihre Mitmenschen für Tee zu begeistern, was aber aufgrund der hohen Preise und des schlechten kolonialen Nachhalls wenig erfolgreich war. Nur in Mumbai entstand durch iranische Migranten eine Teekultur nach persischen Vorbild: ohne Milch aber mit viel Zucker. Schnell wurde aber die englische Vorliebe für Milch in der ehemaligen Kolonie in die Tasse integriert. Erst mit den günstigen und sehr kräftigen CTC-Tees der 1960er und 1970er Jahre und einer Generation die nicht unter englischer Herrschaft aufwuchs, konnte sich Tee durchsetzen. Dank der CTC-Tees konnten sich nun auch Ärmere einen starken „reiche Leute Tee“ leisten, der sich früher durch hohe Blattmasse pro Tasse auszeichnete. In den 1980er Jahren setzten sich die verpackten Tees der Supermärkte gegen die losen Tees der kleinen Händler durch.
Im ländlichen Nord- und Ostindien trinkt man eher zu Hause seinen Tee, während man im urbanisierten Süd-Westen oft an einem Stand oder Arbeitsplatz seinen Tee trinkt. Mit der Verbreitung von Werbung in digitalen Medien gelingt es der Industrie immer besser den Menschen vor Ort einzureden wie sich ein moderner Inder ernähren sollte. Verschiedene Tees werden mit gesundheitlichen oder Lifestyle Vorteilen beworben. Viele Marken versuchen sich vom einfachen Chai des armen Arbeiters abzusetzen und ihren Kunden eine möglichst exklusive Vorstellung von Geschmack zu verkaufen. Der Pro-Kopf-Konsum liegt bei etwa 800g pro Jahr und damit weit unter den ostfriesischen 3kg.

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