Oder: Welche Auswirkungen und Folgen hatte die Ankunft des Tees in Ostfriesland für die Ostfriesen?
Tee löste in Ostfriesland im 17. und 18. Jahrhundert Bier als Lieblingsgetränk ab. Neben Hamburger Leichtbier wurde auch viel Bier selbst gebraut oder Schnaps gebrannt. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts fand man in jeder Straße eine Brauer- oder Brennerei. Sie waren am Ort die am stärksten vertretende Berufsgruppe – lässt man Tagelöhner außen vor. Nur weil Tee beliebter war als Bier, hieß dies nicht dass wir Ostfriesen dem Alkohol abgeschwört hätten. 1530 schrieb Henricus Ubbus, dass das Hamburger Leichtbier „mit seiner süßen Schwere die Sinne umnebelte“.
Dies wäre aber der Wunsch vieler Geistlicher gewesen. Nicht nur waren wir Ostfriesen die Nachbarn der Westfriesen (Holland), wir haben auch viele Niederländer nach dem 30-jährigen Krieg als Glaubensflüchtlinge bei uns aufgenommen. Die reformierte Kirche war hier eng mit den Holländern verbunden. Viele Pastoren wurden in Utrecht ausgebildet und die Gottesdienste waren wie der Handel oft in Niederländisch. Da die VOC die wichtigste Firma in den Niederlanden war, erst um den Krieg gegen Spanien – dann die Entwässerung des Landes zu finanzieren, hatten auch die Geistlichen ein Interesse daran, ihre Heimat zu stärken. Immer wieder wurde gesagt, dass Tee ein gottgefälliges Getränk war und der Branntweinteufel bekämpft werden müsse. Pietismus war bei uns weit verbreitet und damit auch die Bereitschaft weniger Alkohol zu konsumieren. Vorteil für die Pastoren war, dass bei langen Gottesdiensten keine Alkoholleiche mehr einschlief, sondern auch noch beim letzten Lied alle wach und munter mitsingen konnten – solange ausreichend Koffein des Tees die Gemeinde dopte.
Wir Ostfriesen erkannten aber auch immer mehr, dass Tee uns gut tat. Besonders im Winter freute man sich auf die warme Tasse. Das nötige abkochen des Wassers reduzierte die Verbreitung von Bakterien/Krankheiten und mit Milch/Sahne und Zucker nahm man Nährstoffe und Energie auf. Ferner konnte Tee ein Hungergefühl unterdrücken, was besonders die am Existenzminimum vegetierenden Moorbewohner erfreute. Ein anderer Vorteil des reduzierten Bierkonsums war es, dass die Sterberate von Kleinstkindern und Müttern bei der Geburt weiter sank. Babys wurden nicht mehr zu Alkoholikern im Mutterleib und hatten öfter die Chance Erwachsene zu werden.
Ferner sorgte der dauerhafte Zustand der Betrunkenheit immer wieder für soziale Konflikte. Oftmals zogen betrunkene adelige Häuptlinge mit ihrem Gewalthaufen durch das Nachbardorf um eine Fehde vom Zaun zu brechen oder zu begraben.
Neben holländischen Pastoren waren bei uns auch Mediziner aus dem Nachbarland aktiv. Nicht wenige sollen Tee als ein Allheilmittel propagiert haben – frei nach dem Motto „Wer 100 Tassen am Tag trinkt der wird auch 100 Jahre alt“. Auch wenn man im 19. Jahrhundert anfing die Inhaltsstoffe von Tee zu analysieren, weiß man bis heute nicht genau was den Tee in welcher Dosis für uns Menschen gesund wirken lässt. Klar ist, dass man durch das Koffein leistungsstärker wurde und viele Krankheiten weniger schlimm oder häufig auftraten als es vor dem Teekonsum der Fall war.
Neben den genannten Punkten die auf die Ablösung des Biers durch Tee anspielten, gibt es auch einen kulturellen Aspekt. Als Ostfriesland im 19. Jahrhundert teilweise zum Königreich Hannover gehörte von 1815-1866 waren wir bis 1837 mehr oder weniger auch englisch beeinflusst. Nicht erst seit dem Beginn des Viktorianischen Zeitalters hatte die englische Kultur Einfluss auf Ostfriesland. Enge Handelsbeziehungen hatten schon länger für einen regen Austausch gesorgt. Nicht nur die Teesorte, auch die Art den Tee zu trinken schauten wir uns etwas ab und erschufen unseren Afternoon Tea: den 3 Ührtje. Durch das Auferlegen von Regeln und die Befolgung hiervon war es den unteren Schichten recht günstig möglich eine Genuss- und Kulturform zu entwickeln.
Der Ostfriesen-Tee ist so stark, da er ein klassischer Besuchstee war. Je stärker der Tee war, desto mehr Teeblätter wurden verwendet, desto mehr Geld hatte man in diese Tasse für den Gast investiert. Somit ist der Ostfriesentee heute nur so stark, weil man mit einem starken Assam (ab ca. 1870) mit weniger Teeblättern dieselbe kräftige Tassenfarbe erreichen konnte als mit den bis dato bekannten chinesischen Schwarztee. Somit ist unser heutiger Ostfriesentee nicht nur ein – sondern das Ergebnis – des Geltungsbedürfnisses der unteren sozialen Schichten an der Wende zum 20. Jahrhundert.
Im Zuge dieses Geltungsbedürfnisses ist auch der Wunsch entstanden eine eigene rituelle Kultur zu entwickeln. Durch die Regeln beim Teetrinken war man ein kultivierter Mensch. Man hielt sich ja an Regeln und trank es nicht einfach wie es einem wilden Menschen beliebte. Dies korrelierte mit dem Bedürfnis – nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg – eine Antwort auf die Frage zu finden „Wer sind wir“. Nämlich nicht das geschlagene Volk, sondern eine ostfriesische Nation kultivierter Teetrinker.
Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Suche nach einer heimatlichen Identität fand sich in Ostfriesland das früher und zeitgenössisch Tee gerne getrunken wurde. Es schien ein gemeinsamer Nenner einer ostfriesischen Kultur zu sein. Somit wurde eigentlich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Teetied zu einem Kulturerbe verklärt. Die Heimatfreunde kamen aus der oberen Mittelschicht und hatten kaum eine Vorstellung davon wie die Armen Tee trinken. Aber da man sehr erfolgreich darin war die „traditionelle Teezeit“ zu propagieren, orientierten sich alle an diesem ahistorischen Bild.
Da Tee und Kaffee oft aus chinesischem Porzellan getrunken wurden, veränderten sich auch die Formen und Erzeugnisse der regionalen Töpfer, Silberschmiede oder Zinngießer. Auf der anderen Seite orientierten sich chinesische Produzenten an dem was sie meinten wir Europäer als typisch asiatisch ansehen.