Wasser und Tee

Oder: Von harten und weichen Wässerchen: Die Bedeutung von Wasser für eine gute Tasse Tee

Neben dem Teeblatt und dem Trinkgefäß spielt die Qualität und Temperatur des Wassers die wichtigste Rolle beim Geschmack. Schließlich besteht die getrunkene Tasse zu mehr als 99 Prozent aus Wasser. Während vor gut 1000 Jahren in China dutzende verschiedene Wasserqualitäten aus der Natur passenden Tees zugeordnet werden konnten, verhindert die weltweite Umweltzerstörung nun ein vergleichbares Vorgehen. Der chinesische Gelehrte Lu Yu katalogisierte im 8. Jahrhundert die Wasserqualität von vielen Gletschern, Flüssen und Brunnen. Er notierte an welcher Stelle eines Flusses das beste Wasser für bestimmte Tees abzuschöpfen sei. Ferner gab er Teetrinkern den Tipp schlechtes Wasser mit Salz anzureichern und so den Geschmack zu harmonisieren. Damals wie heute ist frisches Wasser, das reich an Sauerstoff ist, wichtig für das Aroma des Tees.
Man unterscheidet heute meist zwischen harten und weichen Trinkwasser. Während in der alten Tee-Metropole London das Wasser sehr hart und kaum zum Teegenuss geeignet ist, haben Ostfriesen eher weiches Wasser. Hart bedeutet, dass die Mineralien Kalzium und Magnesium in großen Mengen vorhanden sind. Ferner ist hartes Wasser eher alkalisch und weiches Wasser eher sauer. Das beste Teewasser soll einen pH Wert von sechs bis acht haben. Neben Geschmack haben Mineralien auch Auswirkung auf die Inhaltsstoffe: Ein hoher Gehalt von Kalzium verringert die Extraktion von Koffein und gesunden Polyphenolen. Eisenarmes Wasser erhöht bei nicht-oxidierten Tees erheblich den Gehalt an Polyphenolen im Vergleich zu eisenhaltigen Wasser. Über dies führt hartes Wasser zu einer öligen Schicht oben auf der Tasse. Dies entsteht wenn das Kalziumkarbonat eine Oxidation der organischen Bestandteile verursacht. Durch Aktivkohlefilter oder Citrat-Papier erzeugen Teetrinker aus hartem Trinkwasser weiches Teewasser. Ostfriesen, die auch im Urlaub ihren Tee mit ihrem Wasser genießen wollen, nehmen traditionell ein paar Flaschen abgefülltes Leitungswasser mit.
Noch Anfang der 1960er Jahre mangelte es in einigen Teilen Ostfrieslands an brauchbarem Trinkwasser. Durch Oberflächenbrunnen oder Zisternen fingen Ostfriesen jahrhundertelang vergleichbar gutes Regenwasser auf. Ende des Sommers waren diese Wasserstellen aber einer erhöhten Bakterien- und Algenbildung ausgesetzt. Man kochte das Wasser ab und versuchte es mit Alkohol zu desinfizieren. In diesen Zeiten waren noch Bier und Branntwein die Lieblingsgetränke.
Bünting wurde in der Straße zwischen den Brunnen (heute: Brunnenstraße) gegründet. Heute, im Zentrum der Altstadt, lag das Stammhaus 1806 eher am Stadtrand, hatte aber einen Brunnen in unmittelbarer Nähe. So wurden, mangels Alternativen, bis in die Nachkriegszeit auch bei Bünting Tees mit dem vorhandenen Brunnenwasser getrunken.

Was machte Tee mit Ostfriesland?

Oder: Welche Auswirkungen und Folgen hatte die Ankunft des Tees in Ostfriesland für die Ostfriesen?

Tee löste in Ostfriesland im 17. und 18. Jahrhundert Bier als Lieblingsgetränk ab. Neben Hamburger Leichtbier wurde auch viel Bier selbst gebraut oder Schnaps gebrannt. Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts fand man in jeder Straße eine Brauer- oder Brennerei. Sie waren am Ort die am stärksten vertretende Berufsgruppe  – lässt man Tagelöhner außen vor. Nur weil Tee beliebter war als Bier, hieß dies nicht dass wir Ostfriesen dem Alkohol abgeschwört hätten. 1530 schrieb Henricus Ubbus, dass das Hamburger Leichtbier „mit seiner süßen Schwere die Sinne umnebelte“.
Dies wäre aber der Wunsch vieler Geistlicher gewesen. Nicht nur waren wir Ostfriesen die Nachbarn der Westfriesen (Holland), wir haben auch viele Niederländer nach dem 30-jährigen Krieg als Glaubensflüchtlinge bei uns aufgenommen. Die reformierte Kirche war hier eng mit den Holländern verbunden. Viele Pastoren wurden in Utrecht ausgebildet und die Gottesdienste waren wie der Handel oft in Niederländisch. Da die VOC die wichtigste Firma in den Niederlanden war, erst um den Krieg gegen Spanien – dann die Entwässerung des Landes zu finanzieren, hatten auch die Geistlichen ein Interesse daran, ihre Heimat zu stärken. Immer wieder wurde gesagt, dass Tee ein gottgefälliges Getränk war und der Branntweinteufel bekämpft werden müsse. Pietismus war bei uns weit verbreitet und damit auch die Bereitschaft weniger Alkohol zu konsumieren. Vorteil für die Pastoren war, dass bei langen Gottesdiensten keine Alkoholleiche mehr einschlief, sondern auch noch beim letzten Lied alle wach und munter mitsingen konnten – solange ausreichend Koffein des Tees die Gemeinde dopte.
Wir Ostfriesen erkannten aber auch immer mehr, dass Tee uns gut tat. Besonders im Winter freute man sich auf die warme Tasse. Das nötige abkochen des Wassers reduzierte die Verbreitung von Bakterien/Krankheiten und mit Milch/Sahne und Zucker nahm man Nährstoffe und Energie auf. Ferner konnte Tee ein Hungergefühl unterdrücken, was besonders die am Existenzminimum vegetierenden Moorbewohner erfreute. Ein anderer Vorteil des reduzierten Bierkonsums war es, dass die Sterberate von Kleinstkindern und Müttern bei der Geburt weiter sank. Babys wurden nicht mehr zu Alkoholikern im Mutterleib und hatten öfter die Chance Erwachsene zu werden.

Ferner sorgte der dauerhafte Zustand der Betrunkenheit immer wieder für soziale Konflikte. Oftmals zogen betrunkene adelige Häuptlinge mit ihrem Gewalthaufen durch das Nachbardorf um eine Fehde vom Zaun zu brechen oder zu begraben.
Neben holländischen Pastoren waren bei uns auch Mediziner aus dem Nachbarland aktiv. Nicht wenige sollen Tee als ein Allheilmittel propagiert haben – frei nach dem Motto „Wer 100 Tassen am Tag trinkt der wird auch 100 Jahre alt“. Auch wenn man im 19. Jahrhundert anfing die Inhaltsstoffe von Tee zu analysieren, weiß man bis heute nicht genau was den Tee in welcher Dosis für uns Menschen gesund wirken lässt. Klar ist, dass man durch das Koffein leistungsstärker wurde und viele Krankheiten weniger schlimm oder häufig auftraten als es vor dem Teekonsum der Fall war.
Neben den genannten Punkten die auf die Ablösung des Biers durch Tee anspielten, gibt es auch einen kulturellen Aspekt. Als Ostfriesland im 19. Jahrhundert teilweise zum Königreich Hannover gehörte von 1815-1866 waren wir bis 1837 mehr oder weniger auch englisch beeinflusst. Nicht erst seit dem Beginn des Viktorianischen Zeitalters hatte die englische Kultur Einfluss auf Ostfriesland. Enge Handelsbeziehungen hatten schon länger für einen regen Austausch gesorgt.  Nicht nur die Teesorte, auch die Art den Tee zu trinken schauten wir uns etwas ab und erschufen unseren Afternoon Tea: den 3 Ührtje. Durch das Auferlegen von Regeln und die Befolgung hiervon war es den unteren Schichten recht günstig möglich eine Genuss- und Kulturform zu entwickeln.
Der Ostfriesen-Tee ist so stark, da er ein klassischer Besuchstee war. Je stärker der Tee war, desto mehr Teeblätter wurden verwendet, desto mehr Geld hatte man in diese Tasse für den Gast investiert. Somit ist der Ostfriesentee heute nur so stark, weil man mit einem starken Assam (ab ca. 1870) mit weniger Teeblättern dieselbe kräftige Tassenfarbe erreichen konnte als mit den bis dato bekannten chinesischen Schwarztee. Somit ist unser heutiger Ostfriesentee nicht nur ein – sondern das Ergebnis – des Geltungsbedürfnisses der unteren sozialen Schichten an der Wende zum 20. Jahrhundert.
Im Zuge dieses Geltungsbedürfnisses ist auch der Wunsch entstanden eine eigene rituelle Kultur zu entwickeln. Durch die Regeln beim Teetrinken war man ein kultivierter Mensch. Man hielt sich ja an Regeln und trank es nicht einfach wie es einem wilden Menschen beliebte. Dies korrelierte mit dem Bedürfnis – nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg  – eine Antwort auf die Frage zu finden „Wer sind wir“. Nämlich nicht das geschlagene Volk, sondern eine ostfriesische Nation kultivierter Teetrinker.
Nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg und der Suche nach einer heimatlichen Identität fand sich in Ostfriesland das früher und zeitgenössisch Tee gerne getrunken wurde. Es schien ein gemeinsamer Nenner einer ostfriesischen Kultur zu sein. Somit wurde eigentlich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Teetied zu einem Kulturerbe verklärt. Die Heimatfreunde kamen aus der oberen Mittelschicht und hatten kaum eine Vorstellung davon wie die Armen Tee trinken. Aber da man sehr erfolgreich darin war die „traditionelle Teezeit“ zu propagieren, orientierten sich alle an diesem ahistorischen Bild.
Da Tee und Kaffee oft aus chinesischem Porzellan getrunken wurden, veränderten sich auch die Formen und Erzeugnisse der regionalen Töpfer, Silberschmiede oder Zinngießer. Auf der anderen Seite orientierten sich chinesische Produzenten an dem was sie meinten wir Europäer als typisch asiatisch ansehen.

Tea-Tasting: Alles eine Frage des Geschmacks?

Der Vorläufer des modernen Tea-Tastings war in China jahrhundertelang wohlhabenden Genussmenschen vorbehalten. Man traf sich in der Natur um die Teesorten der Region zu probieren und philosophierte über Literatur und Kunst. Die besten Sorten wurden bei kleinen Wettbewerben ausgezeichnet.
In Europa entwickelten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in London die ersten Tea-Taster. Mittlerweile konnten es sich mehr Briten leisten Tee zu trinken und die Kunden verlangten nach gleichbleibendem Geschmack und guter Qualität. Somit testeten erfahrene Mitarbeiter der Teefirmen in London die neu eingetroffenen Ernten und begannen mit ausgewählten Teesorten Mischungen gleichbleibender Qualität zu erstellen.
Heute werden bei Teefirmen pro Jahr zehntausende Teesorten verkostet. Abhängig von dem Ursprungsland, dem Anbaugebiet, dem Teegarten, dem Erntezeitpunkt und der Verarbeitung verändern sich Geschmack, Geruch und Farbe des Aufgusses. Erfolgreiches Tea Tasting ist eine Sache der Erfahrung. Die Voraussetzung für den Beruf ist neben einer kaufmännischen Ausbildung Geduld, Liebe zum Produkt und Weltoffenheit. Hilfreich ist der Verzicht auf scharfe Gewürze, Rauchen, harte Alkoholika oder auch Kaffee.
Weltweit hat sich ein standardisierter Ablauf etabliert: 2,86 Gramm Tee werden erst mit frisch aufgekochtem Wasser fünf Minuten im Tea Taster Pot ziehen gelassen. Anschließend in den Tea Taster Cup gefüllt und mit einem Löffel probiert. Nach diesem Schlürfen wird der Tee in ein Spittoon gespuckt und der nächste Tee getestet.
Ablauf eines Tea-Tastings: Zuerst werden auf einem langen Tisch bei natürlichem Licht verschiedene Teemuster gleicher Blattgröße und Anbaugebiete aufgereiht. Mit einer Handwaage wiegt man von den einzelnen Tee-Mustern genau 2,86 Gramm ab und füllt diese jeweils in einen Porzellanbecher mit Deckel (Tea Taster‘s pott). Das genaue Gewicht entspricht der zeitgenössischen englischen 6 Pence Münze. Den abgewogenen Tee brüht man mit aufgekochtem Wasser auf und lässt ihn genau fünf Minuten ziehen. Die zubereiteten Aufgüsse gießt man jeweils in eine Porzellanschale (Tea Taster‘s cup). Die aufgebrühten Teeblätter (Infusion) werden auf Farbe und Beschaffenheit begutachtet und auf Geruch getestet.

Der Tea Taster geht nun mit einem Löffel von Probe zu Probe. Er schlürft, schmeckt und spuckt den Tee in einen Behälter (Spittoon). Das Schlürfen ist von großer Bedeutung, denn der dabei eingesogene Sauerstoff sorgt für eine höhere Geschmacksempfindlichkeit und verteilt den Tee weiträumig im Mund.

Ostfriesische Teezeremonie – Abwarten und Teetrinken?


Neben dem echten Ostfriesentee gibt es zwei weitere wichtige Zutaten zu einer ostfriesischen Teezeremonie: Zeit und Porzellan. Während der Teezeit, den traditionellen  Elf- und Dreiührtjes, lassen wir Ostfriesen uns nur ungerne durch alltägliche Dinge stören.
Porzellan kam, genau wie Tee, über niederländische Händler im 17. Jahrhundert aus China nach Ostfriesland. Häufig war das Porzellan mit den damals in China modischen Blumenmustern verziert und wurde meist lose in den Teekisten transportiert. Es war in Europa noch weitestgehend unbekannt und erfreute sich schnell hoher Beliebtheit.

Die Kunsthandwerker in Ostfriesland erfanden mit der Zeit immer filigraneres Zubehör wie silberne Zuckerzangen oder Sahnelöffel für die ritualisierte Teezeremonie. So konnte man erst elegant den kleinen Klumpen Zucker (Kluntje) in die Tasse legen, dann den Tee neben den Kluntje in die Tasse gießen und schlussendlich mit dem gebogenen Löffel die Sahne gegen den Uhrzeigersinn an den Tassenrand geben und durch diese Wolke (Wulkje) der Tasse ihre Krone aufsetzen.

Lokale Künstler bemühten sich immer wieder das Porzellan mit ihren eigenen Motiven zu verzieren. Aber weder deren Kreativität noch die kommenden Jahrhunderte änderten etwas an der noch immer großen Beliebtheit der Ostfriesenrose. Sie ist keine spezielle Rosenzüchtung von uns Ostfriesen, sondern ein Motiv, das um 1800 die Porzellanmanufaktur Wallendorf aus Thüringen bei uns zu verkaufen begann. 

Ostfriesen und ihr Tee – Eine 400 Jahre alte Liebesgeschichte

Tee erreichte uns in Ostfriesland über die Niederlande. Sie waren im 17. Jahrhundert die mächtigste Seefahrernation der Welt. Mit ihrer „Vereinigten Ostindischen Handelskompanie“ dominierten Niederländer um 1600 den Handel in Asien und den Import asiatischer Luxuswaren wie Gewürze, Seide und Tee nach Europa. Nachdem wir durch unsere niederländischen Nachbarn Tee kennenlernten, versorgten uns besonders im 19. Jahrhundert die Briten mit Tee. Bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts tranken wir vor allem grüne Tees aus China. Erst mit dem Anbau von Tee in Indien durch die Briten gab es schwarzen Tee. Hiermit ersetzen Briten die chinesischen Tees in Ostfriesland und wir wurden zu einem Land von Schwarztee-Trinkern.

Der Teegenuss ist auch noch im 21. Jahrhundert wichtiger Bestandteil des täglichen Lebens und wird während der sogenannten Teetied zelebriert. Getrunken wird eine kräftige Mischung bestehend aus mehreren Schwarzteesorten, mit kupferroter Farbe und herb-aromatischem Geschmack – der berühmte Ostfriesentee. Früher konnte man durch die dunkle Tassenfarbe die Wertschätzung, die einem als Gast entgegengebracht wurde, ablesen. Je kräftiger der Tee war, desto mehr Blattmasse wurde von der Hausfrau verwendet. Tee war ein absolutes Luxusgut und eine starke Tasse Tee konnte schon die Haushaltskasse belasten. Mit dem Aufkommen der „britischen“ Schwarztees aus Indien war es dann wesentlich günstiger eine dunkle Farbe in die Teetasse zu zaubern. Dieser sogenannte Besuchstee hat sich bis heute gehalten.

Mit dem viktorianischen Zeitalter etablierte sich das gemeinsame Trinken einer Tasse Tee zu Hause. Zuvor war es nur Männern vorbehalten in einem Kaffeehaus bei der Zeitungslektüre ein Heißgetränk wie Tee zu genießen. Bevor man Tee am heimischen Tisch trank, war es beliebt, sich in öffentlichen Gärten zu treffen oder einen Tanztee zu veranstalten.

Zu einer echten ostfriesischen Teezeremonie gehört neben der wohltuenden Ostfriesenmischung auch die richtige Zubereitung. Der Tee wird nicht gerührt, sondern in drei Schichten aus Sahne („Wulkje“), Tee und Kandiszucker („Kluntje“) getrunken. Wird der Teelöffel in die Tasse gelegt, weiß der Gastgeber, dass kein weiterer Tee gewünscht ist. Das gemeinsame Trinken einer Tasse Tee ist bis heute gelebtes Kulturgut und Ausdruck ostfriesischer Gastfreundschaft. Seit 2016 ist die Ostfriesische Teekultur ein von der UNESCO anerkanntes immaterielles Kulturerbe.

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