Hinter den ostfriesischen Teetrink-Weltmeistern liegt die Türkei auf Platz 2 beim pro Kopf Konsum. Während wir aber keinen Tee anbauen, gehört die türkische Teeindustrie zu den TOP 10 weltweit. Dennoch herrscht in Westeuropa das Bild des Kaffeelandes Türkei vor. Dies ist seit dem Ende des Ersten Weltkriegs falsch. Die Kaffeeanbaugebiete lagen nun in den neugeschaffenen Staaten der arabischen Halbinsel und Kaffee musste teuer importiert werden. Überdies wurde Kaffee mit dem Versagen des Osmanischen Reiches kulturpolitisch in Verbindung gebracht und Tee zum neuen Nationalgetränk erklärt. Damit dieses Diktum funktionierte, unterstützte der Staat massiv den Aufbau einer Teeindustrie an der östlichen Schwarzmeerküste.
Çay (cha = Tee) war im vorderen Orient durch die chinesische Seidenstraße schon seit Jahrhunderten bekannt. Da der selbstproduzierte arabische Kaffee günstiger war, wurde Tee kaum konsumiert. Ende des 18. Jahrhunderts begann auf dem Gebiet des heutigen Georgiens der Teeanbau. Dies war aber kein Erfolg der Osmanen, sondern eine Niederlage, da Sie die Region rund um den Schwarzmeerhafen Batumi an Russland verloren hatten. Russen waren im Gegensatz zu den kaffeetrinkenden Osmanen Teeliebhaber und fanden zwischen den Städten Rize und Artvin gute geologische Bedingungen für die Teepflanzen. Aufgrund dieses russischen Einflusses ähnelt die türkische Çaydanlık (Teekanne) dem Samowar. Gut 100 Jahre später gab es den nächsten Anstoß für türkischen Tee, als Gouverneur Mehmet Izzet ein erstes offizielles Dokument über die gesundheitlichen Vorteile von Tee publizierte. Ebenfalls um 1880 versuchte Sultan Abdülhamid II. die gesamte Landwirtschaft zu modernisieren und Tee als Anbauprodukt zu etablieren. Die erste Teeplantage, ausgestattet mit Teesamen aus dem Zarenreich, konnte jedoch erst 1917 gegründet werden. Nach dem Türkischen Befreiungskrieg (1919-1923) nahm man die Bemühungen um eine türkische Teeindustrie wieder auf. Der Staat förderte Anbauflächen und Produktionskapazitäten und konnte schließlich 1960 vermelden, dass die nationale Nachfrage jetzt selbst gedeckt werden konnte. Obwohl das staatliche Monopol seit den 1980er Jahren bröckelte, sind noch immer die größten Firmen in Staatshand. Im Jahr 2020 waren 200.000 Familien im Teeanbau tätig und etwa 200 Fabriken produzierten türkischen Tee. Besonders die Hinwendung zu speziellen Gartentees und biologischem Anbau prägen in den 2020er Jahren die Bemühungen der neuen Generation von Teebauern, um den internationalen Ruf des türkischen Tees weiter zu verbessern.