Tee-volution in Japan: Vom Mönchsgetränk zur Massenware!

Die erste Phase der Teeindustrie, von 750 bis 1250, begann mit der Entdeckung des Tees durch japanische Mönche in China. Diese brachten die Pflanze nach Japan, wo sie in Klöstern angebaut und zunächst als Heilmittel genutzt wurde. Neben den Mönchen konsumierte auch die Aristokratie Tee, der zunehmend als wertvolles Geschenk galt. Diese Tee-Geschenk-Ökonomie förderte den Austausch zwischen Mönchen, Aristokraten, Kriegern und Produzenten in Japan, China und Korea und belebte nebenher die künstlerische Produktion. Immer mehr Künste nahmen Tee als Thema in ihr Repertoire auf. Bis zum 13. Jahrhundert etablierte sich die Region Toganoo bei Kyoto als führendes Anbaugebiet, und Tee wurde immer öfter als Handelsgut besteuert.


Die zweite Phase, von 1300 bis 1600, war geprägt von der Ausweitung des Teeanbaus in ganz Japan, unterstützt durch den Import von Stecklingen und Produktionsmethoden aus dem China der Song-Dynastie. Steinmühlen und Bambusbesen verbesserten die Verarbeitung, was zu einem Anstieg des Teekonsums führte. Teeläden etablierten sich, und Tee wurde fest in den Handel integriert. Bauern arbeiteten vermehrt unter harten Bedingungen der Klöster-Ökonomie, während das Abkochen von Teewasser unbewusst die Gesundheit verbesserte. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts begann Tee, sich in der breiten Bevölkerung zu etablieren. Die Region Uji entwickelte im frühen 16. Jahrhundert neue Anbaumethoden, was zur Produktion von Tencha führte, und der Teeabsatz im Binnenmarkt wuchs rasant. Tee galt jedoch noch als etwas Fremdes und Chinesisches, was sich auch in der Kunst widerspiegelte. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts begannen die ersten Spuren einer „Indigenisierung“ des Tees. Als auch der ärmste Japaner Zugang zu einer Tasse Tee hatte, war das Getränk kulturell in Japan angekommen.


Die Edo-Zeit brachte die Erfindung von Sencha durch Nagatani Yoshihiro 1740, wodurch Tee fest in der japanischen Kultur verankert wurde. Überall in Japan wurde Tee angebaut und in jeder Stadt florierten Teehäuser als sozialer und kultureller Treffpunkt. Tee war ein Symbol japanischer Identität geworden. 1824 begannen allerdings Konflikte zwischen Teebauern und Händlern, da viele Bauern unter extremen unmenschlichen Bedingungen arbeiteten und kaum ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten. Bis zur Öffnung Japans durch die US-Navy drei Dekaden später dauerten diese Konflikte an.
Die moderne Ära beginnt 1858 als sich die Produktion nach amerikanischen und europäischen Vorlieben ausrichtete und die Exporte wichtiger wurden als der Binnenkonsum. Der Teeanbau verlagerte sich in flachere, leichter zu erntende Gebiete. Tee wurde als Zeichen japanischer Geselligkeit und Gastfreundschaft betrachtet (inter)-national geachtet. Nach dem Ersten Weltkrieg sanken sowohl Export als auch Inlandsverbrauch, weshalb Werbung notwendig wurde, um an das traditionelle Getränk zu erinnern. Ein Post-Bestell-System erleichterte den Teekauf. Japan konnte jedoch nicht mit der Mechanisierung der britische-kolonialen Schwarzteeproduktion auf großen Plantagen mithalten und verlor an Wettbewerbsfähigkeit. Bis in die 1970er trank Japan rund 100.000 Tonnen Tee, bevor Schnellkaffee in den 1980ern den Teekonsum verdrängte. Erst in den 1990ern erholte sich der Teemarkt, insbesondere durch fertige Teegetränke in Supermärkten und Automaten.

Neben der historischen Entwicklung betont der Autor die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Teekonsums in Japan. Die Einführung von Tee im 16. Jahrhundert führte zu einem Rückgang der Sterberate und einer Steigerung der landwirtschaftlichen Erträge. Auch das Abkochen des Teewassers spielte eine Rolle bei der Verbesserung der kollektiven Gesundheit. Tee beeinflusste nicht nur den Alltag, sondern auch die Arbeitsmoral und trug zu den wirtschaftlichen Ertragssteigerungen bei. Trotz dieser positiven Effekte sieht der Autor die Industrialisierung und den massenhaften Verkauf von Tee, insbesondere in Form von PET-Flaschen, kritisch. Für ihn war die Edo-Zeit der Höhepunkt der japanischen Teekultur, in der Vielfalt und dass Wohl der Bevölkerung im Vordergrund standen, nicht der kapitalistische Profit.

Mehr: A Bowl for a Coin – A Commodity History of Japanese Tea, William Wayne Farris, 2019

Japan und sein Tee in westlichen Reiseberichten

Okakura Kakuzo, dessen Werk „The Book of Tea“ von 1906 noch heute eine Einleitung in japanischen Tee-Ismus bietet, war recht gut mit den Asienfans der US-Elite vernetzt. Er war darauf angewiesen dass sie ihm als Japaner und Bindeglied zwischen den Kulturen Aufträge vermittelten. Mit dem Buch wollte er deren Interesse an der japanischen Teekultur monetisieren und das zirkulierende Halbwissen einordnen. In der Regel basierten um 1900 Informationen über japanische Teekultur auf Hören-Sagen von Touristen und fraglichen Übersetzung einer Handvoll asiatischer Texte. Sein Buch sollte ein tiefes Verständnis für die komplexe Teezeremonie schaffen und so als Folie für die Vielseitigkeit Asiens dienen.
Die Beschäftigung mit japanischen Tee begann durch die ersten Missionare. Da Tee aber weder als hilfreich noch hinderlich für die Christianisierung angesehen wurde, notierten Portugiesen und Niederländer nur wenige Zeilen hierzu. Die Reiseberichte des 19. Jhs. übernahmen in der Regel die alten Blickwinkel, erkannten aber das die alten Teezeremonien im Zuge der Modernisierung der Gesellschaft an Bedeutung verloren. Da ihnen diese Art des Teegenusses arg fremd war, waren die Reisenden durch die Bank froh wenn sie die Zeremonie überstanden hatten. Positiv schrieb Eliza Scidmore, die erste Frau in der National Geographical Society, dass sie sich nicht nur in andere Jahrhunderte sondern ein anderes Universum versetzt gefühlt hatte.
Robert Fortune war auch bei Japanreisen Pionier. Er begleitete in den 1850er Jahren Diplomaten wie Sir Rutherford Alcock nach Japan und verglich seine Eindrücke mit Teeritualen in China und England. 30 Jahre später bereiste der Yale-Gelehrte John Stoddard Japan und erklärte dass das Interieur eines Teehauses, das Fortune mit den Ausflugslokalen reicher Londoner gleichsetzte, mit seinen vielen kleinen Merkwürdigkeiten, typisch für das Kindliche im Asiaten sei. Die wenigen Möbel seien mehr als komisch und japanische Kalligraphie sei unschön. Das Schlafen auf dem Boden und die Raumtrennung durch Papierwände waren für ihn absolute Zeichen von Unterentwicklung. Obwohl es bis 1900 hunderte Reiseberichte über Japan gab, erweiterte sich das Wissen kaum. Die Weltumseglerin Anna Brassey verglich das Teehaus eher mit einem Restaurant in dem auch Tanzdarbietungen gezeigt werden und kam damit der Realität näher.
Westliche Männer beschäftigen sich mehr mit den Mädchen die den Tee servierten als mit dem Getränk an sich. Der Topos des unschuldigen Schulmädchens diente als Vergleich für die sexistischen Bedürfnisse der Leserschaft. Die „Illustrated London News“ veröffentlichten in den 1870er mehrere Zeichen- und Fotoserien über japanische Frauen und die damaligen Motive wurden bis zum Ersten Weltkrieg von den Reisenden lediglich reproduziert. Die angeblich verruchte Atmosphäre von Frauen, Tanz, Tee und Sake bespielte die erotischen Ideen der Leserschaft, die sich unter dem angeblich schlechten Ruf dieser Etablissements ganz besonderen Spaß imaginierten. Dies wurde auf die Spitze getrieben als Baron Raimund von Stillfried 1873 für die Wiener Ausstellung ein Teehaus und Japanerinnen importiere und diese als Prostituierte anschaffen gehen ließ.
Da in den Häfen Teeverladung eine sichtbare Erscheinung war, wurden stellenweise in den Reiseberichten auch Produktion und Handel von Tee thematisiert. Während Reisende aus England kaum Interesse am Japantee hatten, spielte es für die USA, die Ende des 19. Jh. der größte Importeur von Japantee waren, eine wichtige Rolle. Scidmore berichtete 1891 als Erstes über die Tee-Ernte in Shizuoka und Uji und ließ die Pflückerinnen fotografieren. Die bald illustrierten Reiseführer sorgten dafür, dass Touristen immer nur die gleichen Orte besuchten, gleiche Erlebnisse hatten und alternative Erzählmuster über japanische Kultur und Gesellschaft nicht aufkamen.
Mehr: Allen Hockley: Other Tea Cults, in: Review of Japanese Culture and Society, Vol. 24, University of Hawaii Press, 2012.

Japan – Tee transformiert ein ganzes Land ins entspannte Zen

Um das Jahr 800 wanderten taoistische Mönche aus China durch Japan und verbreiteten neben der Religion auch Tee als Heilpflanze. Infektionen, Vitaminmangel und Magenprobleme wurde mit Tee behandelt. Die richtige Zubereitung wurde so wichtig, dass jeder Samurai seinen eigenen Mönch und damit Tee-Experten mit sich führte. Bis man das Trinken des zerriebenen Blattes perfektioniert hatte war aber schon das Jahr 1000 angebrochen. Zen-Meister wurden so oft zu Teemeistern. Die Gestaltung des Teeraumes orientierte sich an den heimischen Tempeln. Das Trinken des Tees wurde zu einem Ritual, das den Weg zur religiösen Erleuchtung abbildete. Über die Jahrhunderte löste sich Japan vom chinesischen Vorbild und entwickelte eigene Traditionen.
Der  Teemeister Sen no Rikyū (1522 – 1591) war der Auffassung, dass Teetrinken hilft, in sich selbst Harmonie zu finden. Hierfür wurde fast die gesamte Dekoration aus dem Teeraum entfernt. Der Minimalismus sollte eine Abkehr von weltlichen und materialistischen Werten erleichtern. Oft war im Teeraum nicht mehr als eine Pflanze und eine Kalligraphie erlaubt. Dazu sollte simples japanisches Teegeschirr benutzt werden und nicht die hochwertigen und reichverzierten chinesischen Services.  Im japanischen Teeraum waren alle Menschen gleich und schwiegen. In dieser Stille wurde man von Harmonie, Reinheit, Ruhe und Ehrfurcht erfüllt. Militärische oder gesellschaftliche Ränge waren bedeutungslos. Der Eingang war so klein, dass man sich weit in Richtung Erde bücken musste, um anzuerkennen wie klein der Mensch im Vergleich zur Natur und den Göttern war.
Eine japanische Teezeremonie wird chanoyu genannt, was übersetzt „heißes Wasser für Tee“ bedeutet. Erde, Feuer, Holz, Wasser und Metall sind die einzigen erlaubten Elemente – künstliche Stoffe sind verboten. Es haben sich viele regionale und epochale Unterschiede entwickelt. Gemeinsam ist allen japanischen Teeritualen aber, dass man sich von Alltagsproblemen befreien soll und der Teeraum ein Ruhepol ist. Häufig befindet sich der Teeraum oder auch Pavillon in einem Garten. Beim Gehen durch den Garten in Richtung Teeraum entfernt man sich mit jedem Schritt weiter vom Alltag. Der Teegarten soll die ursprünglich Schönheit und Ruhe der Natur symbolisieren. Getrunken wird oft nur eine Schale gemahlener Grüntee (Matcha). Übrigens durften erst nach dem Ende der japanischen Isolation 1854 auch Frauen Tee ausschenken – davor gab es nur männliche Teemeister.

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