Robert Fortune (geb. 1812 in Schottland – gest. 1880 in London) war ein Botaniker und Pflanzenjäger. Er hatte keinen akademischen Abschluss, konnte jedoch durch sein Talent und seine harte Arbeit einige wichtige englische Botaniker von sich überzeugen. Er wurde 1842 von der königlich-botanischen Gesellschaft Britanniens auserwählt als erster Europäer in China Pflanzen zu erkunden, katalogisieren, erforschen und alles, aus dem man vielleicht Profit schlagen könnte, aus China zu schmuggeln.
Bis zum ersten Opiumkrieg (1839-1842) waren Europäer nur im Hafen Kanton zugelassen. Nach dem Krieg und dem Vertrag von Nanjing (29.08.1842) musste China nicht nur den Briten das Monopol im Opiumhandel zugestehen, sondern auch weitere Häfen (Xiamen, Fuzhou, Ningbo und Shanghai) für den Handel öffnen. Ins Hinterland durfte aber noch immer kein „Weißer“. Somit war es für Fortune durchaus gefährlich sich illegal im Landesinneren zu bewegen. Immer wieder hatte er Probleme mit Piraten, Landräubern oder Mobs von aufgebrachten Chinesen als sie entdeckten, dass sich ein weißer unter ihnen befand. Er war – bis auf eine Fieberkrankheit – aber nie wirklich in Lebensgefahr. Drei Jahre war er im süd-östlichen China unterwegs und sammelte hunderte von Pflanzenproben. Fortune wurde so zu dem einzigen britischen und damit auch europäischen Experten für chinesische Pflanzen.
Zurück in England konnte er nun sich und seiner kleinen Familie ein Leben „der gehobenen“ Mittelklasse finanzieren und arbeitete in einem botanischen Garten vor den Toren Londons. Er schrieb ein Buch über seine drei Jahre in China und veröffentlichte viele kleine Schriften zur chinesischen Flora. Im England des 19. Jahrhunderts waren zwei Dinge von großer Faszination: Pflanzen und Asien – und er war für beides der einzige Experte. Er hatte viele soziale Treffen und konnte sich in einer Gesellschaftsschicht, als beliebter Gast bewegen, die er sonst nie hätte erleben können. Eigentlich hätte er nun zufrieden sein können: Er leitete einen kleinen aber angesehen botanischen Garten bei London, der Welthauptstadt des 19. Jahrhunderts, er war in einem eigenen Haus mit Frau und Kind gut untergebracht, er hatte sogar eine Dienstmagd und war in der, von reichen adeligen Akademikern dominierten, Welt der Botanik zu dem Chinafachmann aufgestiegen. Doch er war nicht nach China gegangen weil er musste – sondern weil er wollte. Und der Abenteurer in ihm langweilte sich. Nach einigen Jahren hatte er seinen Bestand an exotisch-chinesischen Pflanzen verkauft und eigentlich auch mit jedem gesprochen und zum Dinner gegessen der sich für seine Abenteuer in China und sein Wissen über chinesische Flora interessierte. Somit war es für ihn ein großer Glücksfall, als ihn 1847 die EIC ansprach, ob er nicht für sie in China Teepflanzen und das Rezept zur Teeherstellung beschaffen könne. Sie boten ihm 500 % vom aktuellen Gehalt und das Recht an jeder Pflanze, die er neben der Teepflanze noch so finden würde. Somit konnte der Pflanzenjäger Fortune gar nicht anders als ja sagen.
Fortune lebte in einer Zeit in der die Industrialisierung England veränderte. Er konnte mit einem Zug fahren und mit Gaslichtern sein Haus beleuchten. Je mehr Menschen in die Städte (zu den Fabriken) zogen, desto mehr verloren sie ihren Bezug zur Natur. Botanische Gärten waren also nicht nur für die Forschung an den Pflanzen da, sie waren auch das einzige Stück Natur in manchen Städten. Fortune leitete einen botanischen Garten und hatte u.a. die Aufgabe herauszufinden mit welchen Pflanzen man welches Produkt verkaufen konnte. Ferner sollte gezeigt werden, welche Vielfalt an Pflanzen das globale Königreich England besaß. Als Linné anfing die Pflanzenwelt zu systematisieren, war auf einmal der Wunsch da, alles überall zu klassifizieren und damit die Welt zu verstehen. Jeder Forscher musste in die weite Welt aufbrechen und entdecken. So war auch Fortune in gewisser Weise in England unbefriedigt und hoffte auf eine erneute Reise nach Asien. Diese sollte nun 1848 erfolgen.
Bisher hatte die EIC es nicht geschafft in Indien Tee in einem Ausmaße und einer Qualität zu produzieren, die dem chinesischen Tee gleichwertig gewesen wäre. Man hatte durch den Opiumhandel China destabilisiert und es mit dem Opiumkrieg weiter an den Rand des Abgrunds gebracht. Die EIC hatte somit zwei Ängste: Würden die Chinesen selbst Opium produzieren und wären dann nicht mehr auf die bengalische Droge der Briten angewiesen? Dann müsste man den Tee wieder mit Silber bezahlen und würde keine Gewinne mehr erwirtschaften. Und: würde China in Zukunft noch ein zuverlässiger Handelspartner sein? Nun wo Rebellengruppen das Land (durch Opium[kriege] geschwächt) immer weiter verunsicherten. Es war also für die EIC und fast für das britische Empire von existentieller Wichtigkeit die Geheimnisse des Tees zu lüften. Fortune – als DER Experte für chinesische Pflanzen – sollte nun die Grundlagen für die britische Teeproduktion in Indien aus China beschaffen. Dies waren Teepflanzen, Teesamen, Teebauern und eine Herstellungsanleitung. Tee war in China heilig und vor Ausländern streng behütet. Tee war für China die wirtschaftlich wichtigste Pflanze. Es ging Fortune also darum das bestgehütetste Agrar-Wirtschaftsgeheimnis des Kaiserreiches zu stehlen.
Bevor Robert Fortune den Auftrag zur Industriespionage bekam (seine zweite Reise) hatte man in Darjeeling riesige Landflächen den Einheimischen abgenommen. Rund 45.000 ha standen als Kultivierungsfläche zur Verfügung. Pro Jahr wollte man etwa 10 Millionen Pfund Profit erwirtschaften. Jetzt brauchte man Tausende chinesische Pflanzen. Fortune musste diese beschaffen. Hierbei war noch gar nicht die Rede von den 300.000 ha Dschungel die einige Jahre später in Assam für Teeplantage gerodet wurden und den Assamesen genommen wurden.
Er reiste über die Hafenstadt Shanghai ein – nach dem ersten Opiumkrieg nun auch für den Westen geöffnet – und engagierte zwei Helfer die aus der Region Anhui stammten. Dort war angeblich einer der besten chinesischen Tees zu finden. Die zwei waren seine Dolmetscher, Bodyguards, Tourguides, Teeexperten uvm. Ohne sie hätte er kaum einen Fuß außerhalb Shanghais setzen können – aber so drang er tiefer ins Hinterland ein als jemals ein Brite zuvor. Er verkleidete sich, frisierte seine Haare nach chinesischer Mode und wurde wann immer er mit Offiziellen zusammentraf vorher geschminkt. Alles damit er nicht als Brite auffiel. Kein Nicht-Chinese durfte das Landesinnere betreten. Bei Entdeckung hätte ihm der Tod gedroht. Überdies wäre er ein leichtes Ziel für Entführer, Piraten und Banditen gewesen, die Lösegeld hätten erpressen können. Er sprach wenig und sehr gebrochen Mandarin und wurde von seinen Helfern als Pflanzenenthusiast und Händler aus dem Norden vorgestellt. Da Fortune noch dachte, dass grüner und schwarzer Tee von 2 Pflanzen mit unterschiedlichen Umweltbedingungen stammen, plante er Reisen in verschiedene Regionen. Seine Aufgabe war es aus den besten Regionen Pflanzen und Samen so nach Indien zu transportieren, dass dort sofort hochwertiger Tee hergestellt werden konnte.
Fortune entdeckte bei seinem ersten Besuch in einer Teefabrik, dass grüner und schwarzer Tee aus den Blättern ein und derselben Pflanze hergestellt werden. Er beobachtete als erster Europäer den gesamten Herstellungsprozess. Dies war revolutionär und entscheidend für die spätere indische Teeindustrie. Aber er sah in China auch wie Tee, der für Europa bestimmt war, mit „Preußisch Blau“ – einem gesundheitsgefährdendem Zyanid und Gips bearbeitet wurde. Dies taten sie nicht um uns zu vergiften, sondern damit die grünen Blätter auch noch auf dem europäischen Verkaufstisch grün waren. Dies wurde von den Briten später benutzt um China-Tee als „Drachengift“ zu verleugnen: Mit Fortunes Berichten – die 1851 in London präsentiert wurden – legte man den Beweis vor, dass China Europa vergiften will. Der Absatz von China-Tee brach ein und der indische (britische) Tee setzte sich durch. Den Chinesen fehlte jedes Verständnis dafür, dass wir Europäer den Tee mit diesen Giftstoffen haben wollten (damit er grün aussieht) und dies verstärkte das Bild des europäischen Barbaren natürlich vor Ort. Neben Chinesen waren es aber vor allem Engländer selbst, die Teelieferung färbten und mit verschiedensten Stoffen mischten, damit der grüne Tee so aussah wie wir Europäer dachten, dass er aussehen müsste.
Das was Fortune in Anhui an Pflanzen und Samen mitnahm wurde von der Firma Dent & Co. in Shanghai eingelagert und nach Indien versendet. Der Seniorchef der Firma war ein begeisterter Gärtner und half Fortune gerne beim Export von chinesischen Pflanzen. Die Firma verdiente ihr Geld im Opiumhandel – der dann Dank der logistischen Leistung der Firma beim Versand der Teepflanzen einbrach. Als man kein indisches Opium mehr gegen China-Tee tauschen musste, weil man nun selbst in Indien Tee herstellte, ging die Firma Bankrott. Hätten sie Fortune nicht geholfen, hätten sie noch viele Jahre weiter Geld an der Opiumdroge verdienen können. Überdies leistete der chinesische Gärtner der Firma ihm unbezahlbare Dienste bei der Verpackung der Pflanzen für den Transport. Auch hier ist es wieder eine Person und ein Zufall der half die Weltgeschichte massiv zu verändern.
Fortune plante seine Pflanzen und Samen nach Kalkutta zu senden. Der dortige botanische Garten war gut 100 ha groß und der Chefbotaniker – Falconer (Prof. für Botanik) – war seit über 10 Jahren damit beschäftigt indischen Tee genießbarer herzustellen. Da die wilden Pflanzen besonders aus der Region Assam noch keine großen Mengen an „leckerem“ Tee lieferten, war er auf Fortunes China-Tee angewiesen. Nun erhielt er aus China sehr gute Pflanzen und entwickelte hunderte Kreuzungen die später in Darjeeling und Assam blühen sollten. Der Vorgänger von Falconer hatte die gesamten 1820er und 30er Jahre damit verbracht zu behaupten, dass es keinen indischen Tee gäbe. So wurde nie systematisch nach indischen Teepflanzen gesucht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die EIC auch noch das Handelsmonopol mit China und es war nicht nötig Tee in Indien anzubauen.
Fortune sendete 1849 dann auch wirklich die große Anzahl von 13.000 Stecklinge und rund 10.000 Samen nach Kalkutta. Da das Schiff erstmal nach Ceylon fuhr und dann erst nach Kalkutta dauerte die Reise zwei Monate. Mehr als 90 % der Ladung waren tot. In Kalkutta tat es Falconer in der Seele weh, dass die Pflanzen gen Himalaya geschickt werden mussten, um dort im botanischen Garten von Jameson getestet zu werden. Jameson war ein schlechter Botaniker und er baute die Pflanzen falsch an (wie Reis). Nur 1 % überlebte unter ihm. Also war Fortune erneut gefragt und musste wieder in China auf Raubzug gehen.
Aus der Region Fujian bemühte sich Fortune im Sommer 1849 dann Pflanzen zu erhalten die den angeblich besten schwarzen Tee lieferten. In den Wu-Yi Bergen wurde der beste Bo-He (roter Tee) der Welt hergestellt. In England nannte man in Bohea. Seine Geheimnisse zu lüften, dass war eines der wichtigsten Ziele für Fortune. Er entdeckte, dass Tee sehr arbeitsintensiv war und im Vergleich zur gepflückten Kilomenge nur wenig Teeaufguss ergab (5:1).
Aus den Wu-Yi Bergen kam und kommt auch der Da Hong Pao Tee. Übersetzt heißt es Rote Robe und bezieht sich darauf, dass um das Jahr 1000 ein chinesischer Kaiser durch Tee aus dieser Region von seinem Fieber geheilt wurde. Er schenkte dem Mönch eine rote Robe, damit der Teestrauch gut überwintern kann. Tee von diesem Feld kostete ein Vermögen. Mit den Stecklingen klonte man über hunderte von Jahren die ursprüngliche Pflanze und Fortune konnte recht simpel diesen himmlischen Tee trinken und seine Pflanzen mitnehmen. Heute kosten 100g um die 15 €. Fortune war hier in einem Kloster untergebracht und als er den Mönchen das Da Hong Pao Rezept stahl, war dies der einzige Moment in den Jahren seiner Raubzüge, in dem er Scham zeigte. Die Spiritualität und die Gastfreundschaft der Mönche war selbst für einen zeittypsichen eurozentristischen Rassisten wie Fortune entwaffnend.
Während Fortune von Wu-Yi mit seiner Beute in Richtung Shanghai reiste, erlebte er auch immer wieder die Ausmaße der Opiumsucht. Um 1850 exportierten die Briten Opium im Wert von knapp 1 Mrd. Euro (heute gerechnet) nach China. Heute geht man davon aus, dass fast 70 Prozent von Armee und Landbevölkerung süchtig nach Opium waren.
Opium wurde von den Holländern als Handelsgut nach China eingeführt. Man tauschte es in geringen Mengen in Batavia gegen Tee. Opium war erst eine teure Droge der Oberschicht und sickerte langsam in untere Bevölkerungsschichten. Es war besonders wegen seiner schmerzstillenden und allgemein beruhigenden Wirkung bei der hart-arbeitenden Bevölkerung beliebt. Es führte jedoch dazu, dass das gesamte Volk in Lethargie verfiel und damit auch das Kaiserreich in sich zerfiel. Wie nur etwas später der kranke Mann am Bosporus (Osmanisches Reich) von den Europäern auseinander genommen wurde, demontierte man China und nahm sich an Wissen, Menschen und Regionen was einem beliebte. Das opiumsüchtige Volk der Han war nicht mehr in der Lage das Jahrtausende alte Reich zu verteidigen.
Nachdem Fortunes Pflanzen aus dem Grün-Tee Bereich Anhui durch Versagen der in Indien Beteiligten zu 99 % zerstört worden waren, experimentierte er in Shanghai weiter mit dem Wardschen Gefäß (Wardian Case) und es gelang ihm verschiedene chinesische Pflanzen(samen) nach Indien zu exportieren. Da nun alle Beteiligten wussten wie sie mit der Ware umzugehen hatten, sandte er dann seine Wu-Yi Pflanzen nach Indien und die große Mehrheit kam in den botanischen Gärten des Himalayas an. Nun konnte dort aus Tausenden Wu-Yi Samen Klone dieser exzellenten Pflanzen gezüchtet werden. Ein Grund warum Darjeeling-Tee noch heute so beliebt ist und als „Champagner unter den Tees“ bezeichnet wird, ist somit seine Da-Hong-Pao Basis.
Durch Fortunes Erfolge und Transportmethoden war es auf einmal möglich ganze Pflanzenarten über Kontinente hinweg zu verpflanzen und sie an ganz neuen Orten zu bewundern oder auszubeuten. Aber Fortune nahm nicht nur Pflanzen aus China mit nach Indien – auch Menschen. Viele Söhne von Teebauern wurden mit diversen Versprechen über Mittelsmänner angeworben. Offiziell durfte kein Chinese sein Land verlassen. Er war Besitz des Kaisers. Aber durch Korruption und den Staatszerfall nach dem ersten Opiumkrieg war es möglich Tausende Chinesen für Minen- und Eisenbahnbau in die USA zu bringen und Fortune konnte Hunderte Teebauern nach Indien bringen. Dies erledigte für Fortune wieder die Firma Dent & Beale (in Kanton/Shanghai/Hong Kong eine der „ältesten“ europäischen Firmen). Der Menschenraub über Shanghai für das britische Empire nahm extreme Ausmaße an – da man den Wegfall der afrikanischen Sklaven ausgleichen musste. Der Begriff „shangheid“ etablierte sich weltweit wenn man nicht das Wort „Menschenraub“ in den Mund nehmen wollte. Die Arbeiter waren für mind. drei Jahre unter Vertrag und erhielten einen überdurchschnittlichen Arbeiterlohn. Da sie aber hohe Strafen zahlen mussten, wenn sie gegen ihren Vertag verstießen (wozu schon Krankheit) zählte, waren sie de facto Zwangsarbeiter.
Im Himalayagebiet – besonders in Darjeeling – wartete man auf die guten chinesischen Pflanzen und Arbeiter. Jeder Teegarten bekam einen Chinesen. Am Ende seiner zweiten Chinareise traf sich Fortune für eine Woche mit Archibald Campbell, (Gründer des Darjeeling Tee) und dem für das Himalayagebiet zuständige Botaniker Jameson (der die erste Ladung Tee von Fortune zerstörte) und um ihr jeweiliges Wissen über Tee zusammenzutragen und damit die Wissensgrundlage für den Anbau in Darjeeling und Umgebung zu erschaffen.
Fortunes Erfolg war eine Katastrophe für China. Obwohl Tee fast nur gegen Opium getauscht wurde, kaufte nun erst recht keiner mehr chinesischen Tee. England übernahm mit seinem Darjeeling und Assam Tees die gesamte westliche Teewelt. Durch Fortune wurde das tausend Jahre alte Teemonopol der Chinesen gebrochen. (Japan wird nicht gerechnet, da sie Ende des 19. Jh. nicht exportierten). Nach seiner Rückkehr 1851 und der erfolgreichen Ansiedlung der Teepflanze in Indien reiste Fortune noch zwei Mal nach China und einmal auch nach Japan. Über 120 Pflanzen wurden nach ihm benannt.