Geht man heute in einen chinesischen Teeladen um ein Teeset zu kaufen, so findet man kleine Teepötte aus Ton, einen Gai-Wan (Schale mit Deckel), ein hölzernes Teebrett mit Wasserfänger, kleine Teetassen, hohe Riechtassen, einen Gong Dai Bao (Servierkanne), Teeschaufeln und Löffel. Diese ganzen Utensilien sind angeblich uralte Bestandteile des Gong Fu Cha: Der elaborierten Kunst Tee zu trinken. Im Vergleich zum westlichen Teetrinken verwendet man für die benutzte Menge Wasser eine große Portion Teeblätter. Die Ziehzeit liegt unter einer Minute und die Blätter können mehrfach verwendet werden. Aber weder ist dies eine Zeremonie, noch hätte vor etwa 30 Jahren die Mehrzahl der Chinesen gewusst, was denn Gong Fu Cha sein soll. Nur weil man auf eine bestimmte Art Tee trinkt, ist es keine Zeremonie. Die Handlungen haben keine andere Bedeutung als die reine Zubereitung des Tees. Gong Fu Cha ist nachweisbar in einigen Regionen der süd-chinesischen Provinz Fujian eine beliebte Möglichkeit gewesen Tee zu trinken. Es gab aber selbst in diesem Gebiet andere Trinkpraktiken – ganz zu schweigen von anderen Provinzen. Also ist Gong Fu Cha weder traditionell noch chinesisch?
Das lose Teeblatt mit Wasser aufzugießen ist die Art des Teetrinkens, wie sie im China der Ming-Dynastie (1386-1644) an Bedeutung gewann. Vorher wurde das zermahlene Blatt getrunken oder gar gegessen. In einem Kochbuch, in dem regionale Besonderheiten vorgestellt wurden, war der Autor noch 1750 von der Art Tee zu trinken überrascht, wie es im südlichen Fujian der Fall war. Da ihm der Tee so aber außerordentlich gut schmeckte, verbreitete sich das Wissen (nicht die Praktik) dieses Vorläufers des Gong Fu Cha (kl. Teepott, kl. Tassen, viel Blattmasse). Das Wort Gong Fu Cha wurde um 1800 das erste Mal in der Beschreibung der Region Guangdong in Fujian benutzt. Wobei der Autor so befremdlich schrieb, dass es eindeutig war, dass er es bei seiner bisherigen Reise durch China noch nie gesehen hatte. Selbst in einem Bericht über chinesischen Tee von 1937 war noch zu lesen, dass Gong Fu Cha nur im südlichen China von Kennern bester Tees verwendet wird. Weder beim „normalen“ Volk, noch in anderen Regionen sei dies bekannt. 1957 wurde ein nicht-veröffentlichtes, jedoch kürzlich in einem Archiv entdecktes Dokument verfasst, was die Einzigartigkeit des Gong Fu Cha für Fujian herausstellt und damit aussagt, dass es in allen anderen Provinzen keine Bedeutung hatte. In dem 1971 publizierten Buch „Die Art des Teetrinkens“ wird Gong Fu Cha ebenfalls noch als eine regionale Besonderheit des südlichen Fujian dargestellt. Von einer nationalen Besonderheit ist hier nicht die Rede.
Ähnliches gilt für die Erkenntnisse zum Wort Cha-yi, also der Kunst des Tees bzw. der Kunst Tee zuzubereiten. In Wörterbüchern der 1960er Jahren gibt es diesen Terminus nicht. Erst am Ende der 1990er Jahre wird Cha-yi aufgeführt, aber ohne einen Hinweis darauf, dass es sich hier um einen Neologismus (Wortneuschöpfung) handelt. Die Bedeutung, die hinter dem Wort steht, müsste eigentlich mit Cha-Dao bezeichnet werden. Da dies aber an das japanische Cha-Do erinnert, erfand man das Wort Cha-yi.
Die Teekunsthäuser in Taiwan, in denen Tee in Ruhe genossen werden kann und oft kulturelle Veranstaltungen stattfinden, heißen übrigens Cha-yi-guan. Die traditionellen chinesischen und damit auch taiwanesischen Teehäuser wurden oft mit Kriminalität, Glückspiel und Prostitution in Verbindung gebracht. Diese neuen Teekunsthäuser hatten rund 10 Jahre mit dem Ruf der alten Teehäuser zu kämpfen und waren Pioniere darin, ihren Umgang mit Tee als moderne Interpretation alter Traditionen darzustellen. Somit konnten moderne Gäste sich selbst versichern nicht mit Traditionen zu brechen, während ältere Gäste ihre Traditionen im neuen Zeitgeist meinten wiederzuerkennen. Damit nun eine nationale Antwort auf Japans Cha-do gefunden werden konnte, diskutierte man, welche chinesische Art Tee zu trinken denn die ästhetische sei.
Insgesamt blickte man um 1990 aus China neidisch auf die nationale Tee-Identität Japans und welche weltweiten Vorteile aus dem Bild des japanischen Teetrinkers bspw. im Tourismus gewonnen wurden. Ähnlich mürrisch wurde der Werbeerfolg des englischen Afternoon-Teas und des amerikanischen Ice Teas beobachtet. Während diese drei Länder Erfolge durch ihre Teekultur feierten, standen Chinesen uneins um ihren Tee herum. Ihr Tee war aber doch der erste Tee der Welt. Sie hatten doch Tee erfunden und alle anderen haben es nur von ihnen geklaut. Diese Erniedrigung wollte man nicht länger hinnehmen und der Welt zeigen wie alt die chinesische Teekunst ist. Hierfür musste nun schnell in den entstehenden Cha-yi-guan eine historische Konstruktion her, um darzustellen wie der Chinese seit Jahrtausenden schon seinen Tee genießt und damit eine weitaus tiefere Historie besitzt, als das benachbarte Japan. So wurde erst der Begriff der chinesischen Teekunst (Cha-yi) geschaffen und dann mit Inhalt gefüllt.
Hierbei war Taiwan immer wieder eine wichtige Station. Während China Taiwan als Teil von sich betrachtete, sah sich Taiwan als Bewahrer der chinesischen Traditionen in Zeiten, in denen das Festland von Kommunisten beherrscht wird. So gründete sich in Taiwan der Verband der traditionellen chinesischen Teekunst, dessen Aufgabe es war die alten chinesische Teekunst wiederzubeleben. Aber es gab historisch gesehen nicht die eine Teekunst die man hätte wiederbeleben können. Es gab nicht mal ein Verständnis von Teekunst. Das einzige was man in den mitgenommen Büchern (Taiwan = Flüchtlinge vom chin. Festland) finden konnte, war das Gong Fu Cha aus dem Süden von Fujian. Gong Fu Cha war ferner die einzige Art und Weise Tee zu trinken, bei der man mehrere Utensilien und etwas Erfahrung benötigte, um ein schmackhaftes Getränk zu erhalten. Somit war Gong Fu Cha überhaupt die einzige Möglichkeit, um eine neue komplexe Teekunst, aus den real ja gar nicht vorhandenen alten Vorbildern zu konstruieren. Ein weiterer Grund für die Beliebtheit von Gong Fu Cha in Taiwan war, dass viele Taiwanesen ursprünglich im südlichen Fujian wohnten. Taiwan stieg in den 1970er Jahren zu einem der führenden asiatischen Länder auf. Während dieses Fortschrittes wollte man seinen wirtschaftlichen Erfolg auch kulturell untermauern. Da richtiges Teetrinken für alle wichtig war, wollte man immer mehr seines wachsenden verfügbaren Einkommens in Tee investieren. Sich einen besonders legendenreichen historischen Tee leisten zu können, wurde zu einem Statussymbol der taiwanesischen Elite. Man konnte sich durch exquisite Tees und besondere Utensilien von ärmeren Mitmenschen unterscheiden. Ohne eine breit akzeptierte Teetradition wäre dies nicht möglich gewesen. Somit hatten die Käufer ein genauso großes Interesse daran, an einer angeblich tausend Jahre alten Tradition mitzuwirken, wie die Verkäufer der angeblich ach so tradierten Utensilien und Tees.
Mit der steigenden Beliebtheit des Cha-yi in Taiwan und China merkten Japaner, dass ihr geliebtes Cha-do nicht mehr die einzige asiatische und im Westen gut zu bewerbenden Teetradition war. Cha-yi orientierte sich aber eher am Sen-chado. Hierbei werden ganze Blätter verwendet, während beim Cha-do gemahlene Blätter verwendet werden. Sen-chado hatte absichtlich seine chinesischen Ursprünge etwas vergessen und geriet nun in Gefahr seinerseits nur als Kopie des Cha-yi dazustehen. Es geht hierbei aber objektiv nur darum, dass Japaner im 17. Jahrhundert gelernt hatten, dass man auch ganze Blätter zubereiten kann. Der Cha-do basiert ja auf dem Teewissen, das Japanern um 800 von chinesischen Mönchen vermittelt worden war. Zu dieser Zeit trank man einen flüssigen Brei bestehend aus den zermahlten Teeblättern.
Ähnlich wie dem Cha-do begannen nun selbsternannte Teemeister in Taiwan und China zu diskutieren, an welchem Platz denn welches Utensil zu stehen habe und in welche Reihenfolge sie wie benutzt werden müssten. Hierbei diskutierte man auch – fern jeglicher historischer Vorbilder – über die korrekte traditionelle Bewegung von Hand und Arm. Man erschuf sich selbst ein historisches Vorbild dessen Perfektion man anstrebte, um sich dann Meister nennen zu können. Es war nun nötig ein Ritual zu kreieren, dass nicht nur praktikabel war, sondern möglichst ästhetisch aussah. Nachdem man sich also geeinigt hatte, dass Gong Fu Cha das traditionelle Teetrinken ist, erfand und einigte man sich auf das Cha-xi (die Anordnung der Utensilien und Ablauf der Zeremonie). So konnte man nun, wie in Japan, Bücher herausbringen und Kurse anbieten, in denen interessierte Teetrinker lernen konnten, wie man es „richtig chinesisch“ macht.
In Taiwan erfand man die Riechtassen (wen xiang bei) und es gelang ihnen sogar die Ansicht weltweit zu verbreiten, dass diese eigentlich unnützen Objekte schon immer dazugehörten. In den 1980er Jahren wurde auch der Gong dao bei (Servierkanne) erfunden. Wobei es sich hierbei sogar um ein nützliches Objekt handelt. In dieser kleinen Kanne wird der Tee aus der Teekanne (Cha-hu) gefüllt, damit alle einen homogenen Aufguss genießen. Gießt man aus der Cha-hu in die Tassen, hätten die ersten Tassen eine andere Zusammensetzung als die letzten Tassen, da diese länger und direkter mit den Teeblättern in Kontakt waren. Beide neuen Objekte sind heute meist nur dort in China vorhanden, in denen sich Touristen aufhalten. Diesen zeigt man dann gerne das traditionelle vollständige Teeservice. In den meisten Haushalten ist man dagegen praktischer veranlagt und verwendet nicht alle dieser angeblich alten Objekte. In Taiwan ist man mittlerweile davon überzeugt, dass beide Objekte eine reiche Tradition besitzen.
Alle diese neuen Erfindungen rund um Tee führten dazu, dass man Tee nicht mehr einfach so irgendwo zwischendurch trinken konnte. Am besten ging man hierfür in ein Teekunsthaus und die Besitzer dieser Häuser waren ja auch die Initiatoren der Cha-yi Bewegung. Im Jahr 2000 und 2002 publizierte der Chinese Cai Bücher über Cha-dao, was nichts anderes als Cha-yi ist aber nun offen in Konkurrenz zum japanischen Cha-do trat. Mittlerweile war das nationale chinesische Bewusstsein so ausgeprägt, dass man es auch auf dem Feld „Teetradition“ mit Japan aufnehmen konnte und wollte. Während man also in den 1980er die Japaner dafür neidisch bewunderte, vergaß man nun, dass man ihren Cha-do mit dem Cha-yi plagatiert hatte und setzte Cha-dao als genauso alte und umfangreiche Teekultur neben das Cha-do. Im Cha-do sind die wichtigsten Prinzipien: Harmonie, Respekt, Reinheit und Stille. Dies ist natürlich auch eine sozio-politische Konstruktion. Den Teemeistern im 16. Jahrhundert war es daran gelegen die Aufstände gegen ihre Kaiser einzudämmen. Jeder, der nun kriegerisch agierte, verstieß also gegen die erfundenen und als uralt dargestellten friedlichen Grundprinzipien der Chanyou (japn. Teezeremonie).
Im Cha-dao gab es nun (um 2000) auch auf einmal wichtige Grundprinzipien diese wurden mit Schönheit, Gesundheit, Kultiviertheit, Ethik oder auch Harmonie, Sparsamkeit, Ruhe und Sauberkeit benannt. Da man auf einmal genauso gutklingende Prinzipien wie die Japaner hatte, zweifelte niemand, der sein Geld mit dem guten Bild des friedliebenden chinesischen Teetrinkers verdiente, an der historischen Authentizität dieser neuen Erfindung. In den neuesten Büchern (seit 2000) wird als Ursprung des Gong Fu Cha nun das Cha-yi bennant. Kein Wort davon, dass Gong Fu Cha schon seit Jahrhunderten in Süd-Fujian, aber halt auch nur dort, praktiziert wurde – natürlich ohne die modernen hinzuinterpretierten Praktiken und Utensilien.
Seit dem Jahr 2000 hat die taiwanesische Ten Ren Gruppe unter verschiedenen Namen tausende Teegeschäfte in China eröffnet und trägt entscheidend zur Verbreitung des Gong Fu Cha Mythos bei. Überall wird Gong Fu Cha als Inkarnation des alten mächtigen China gefeiert und mittlerweile die zweite Käufergeneration belehrt, dass sie mit ihrem Geld im Laden die uralte nationale Teetradition stärken. Den meisten Chinesen ist aber nicht einmal bewusst, dass die Läden einer Firma aus Taiwan gehören.
Die angebliche lange Tradition des Gong Fu Cha wird sogar wissenschaftlich untermauert: Historiker der staatlichen Shantou Universität in China haben in einem mehrjährigen Forschungsprojekt so viele historische Quellen absichtlich falsch interpretiert oder Zitate ohne Kontext in den Vordergrund gestellt, dass es nach ihrer Aussage keinen Zweifel mehr daran gibt, dass das moderne Gong Fu Cha „das wahrhaftige Wiederaufleben der chinesischen Teetradition ist, die das Land über Jahrtausende zusammenhielt“. Menschen, die korrekterweise darauf hinweisen, dass man frühesten im 15. Jahrhundert das ganze Blatt zum Tee nutze und somit es gar keine Tausend Jahre alte Tradition gibt, werden mindestens mit der Sicherheit ihrer Arbeitsstelle bedroht. Andere weisen darauf hin, dass Lu Yu um das Jahr 800, in dem heute ältesten erhaltenem Werk über Tee, eine Art des Trinkens beschreibt (Pulver mit Gewürzen kochen), die eher mit dem „alten“ Tibet als dem Gong Fu Cha in Verbindung gebracht werden könnte.
Vielmehr ist Gong Fu Cha das Ergebnis der Leere die die Kulturrevolution mit ihrem menschlichen und kulturellen Genozid hinterließ. Als in den 1980ern China der Welt wieder geöffnet wurde, bediente man sich beim Nachbarn Taiwan, dem angeblichen Bewahrer der chinesischen Teetradition, und erfand ein das Volk uniformierendes historisches Vorbild. Ferner konnten die wirtschaftlichen Aufsteiger im China der 1990er Jahre nun genauso ihr Geld in die Teewelt investieren, wie es zuvor schon die neureichen Taiwanesen getan hatten.
Es wäre also heute aus historischer Sicht wesentlich spannender den wirklich vorhandenen verschiedenen Teekulturen nachzuspüren, als alle Hinweise hierauf zu vernichten und Gong Fu Cha zu rechtfertigen. China beraubt sich damit in den letzten 20 Jahren selbst seiner historischen Vielfalt.
Genauso wie der durchschnittliche Japaner zwar den Cha-do kennt und keine Chanyou durchführen kann, da man hierfür ja viele Jahre des Trainings benötigt, kennt jeder Chinese Gong Fu Cha. Aber auch er kann kein Meister sein. Hierfür bräuchte er ja auch jahrelanges Training. Die Teemeister und Teeverkäufer haben es also zusammen mit der nationalistischen politischen Elite geschafft eine Kultur durchzusetzen, in der der normale Bürger ihnen hohen Respekt zollt – für die Durchführung eines selbstkonstruierten Rituals. Von allen sechs Teesorten ist Pu-Ehr (vom reinen Blatttyp) übrigens am besten für die Gong Fu Cha Utensilien geeignet. So ist es kein Wunder, dass er sich immer höherer Beliebtheit erfreut und selbst neuere Ernten immer teurer werden. Denn wer möchte nicht so Tee trinken, wie es die Vorfahren schon vor Urzeiten getan haben.
Seit etwa 20 bis 30 Jahren benutzt man also Gong Fu Cha, um durch die tagtägliche Wiederholung des Rituals langsam eine homogene Nation zu erschaffen und damit eine Identität zu kreieren, der sich niemand verschließen kann – denn wer mag schon keinen Tee.
Mehr:
Lawrence Zhang, Universität Hong Kong, „A Foreign Infusion. The Forgotten Legacy Of Japanese Chado on Modern Chinese Tea Arts“.